Der Reim muss bleim*: Lyrische Versuche

*Robert Gernhardt

Ab nach Hamburg

Einmal im Jahr heißt es für meinen Freund Reinhard „ab nach Kassel“. Dann nimmt er dort die Straßenbahn hinaus auf die Wilhelmshöhe. Ich kenne den grandiosen Ausblick über die Stadt und den Kellerwald. Ich habe auch schon die herrlichen alten Baumriesen bewundert, die einer der hessischen Fürsten dort anpflanzte. Ich weiß nicht, ob es derselbe war, der seine Landeskinder als Soldaten nach Amerika verkaufte, wo sie vergebens versuchten, den Lauf der Geschichte aufzuhalten. „Ab nach Kassel“ riefen die Werber den Burschen zu. Ein Unglücksruf, dem ich 1982 folgte, um die Zeitschrift "graswurzelrevolution" zu vertreiben. Als ich neulich bei Facebook Reinhards Baumfotos sah, erwachten die Erinnerungen und der Dichter in mir.

 

Hoch im Norden nah am Hafen
denk ich manchmal an Nordhessen
Dort zu wohnen war mir Strafe
Das hatte ich schon fast vergessen

 

Tief im Kessel quetscht sich Kassel
Vor 40 Jahren lebt ich dort
Furchtbar klang mir das Gequassel
ein Dialekt wie Ohrenmord

 

Noch immer quält mich Kasselänisch
Das Idiom der dort Gebornen
klingt in meinen Ohren hämisch
Da hab ich wirklich nichts verloren

 

Damals lag die Stadt am Rand
gleich hinterm Wald begann die Zone
Hamburg kesselt wie bekannt
Kassel fesselt nicht die Bohne

Um eine Zeitung zu vertreiben
anarchistisch und gewaltfrei
wollt ich nicht in Kassel bleiben
Mir stank die viele Plackerei

 

Ich wollte in die Redaktion
ins Kollektiv nach Altona

Doch offen kam die Reaktion
Uns geht’s hier gut bleib lieber da

 

Auch mit Frauen war es Asche
Mich lockte keine Kassler Braut
Ich hockte vor der Sherryflasche
und habe tief hineingeschaut

 

Wenn ich im Aue Park mich bräunte
mein Buch an einer Buche las
erträumend was ich grad versäumte
sah ich in Rinden Vaginas

Beim Stadtfest rockte Rio Reiser
die Scherben heizten kräftig ein
hinweg aus Hessen rief ich heiser
Hammonia jetzt wirst du mein

 

Gesagt getan die Chance erfasst
raus aus dem klammen Loch
Wie hab ich dieses Kaff gehasst
hass ich es immer noch?

 

Kassel liegt jetzt fett im Fokus
Zur documenta war ich dort
Ich fühlte mich an diesem Lokus
so wie an jedem anderen Ort

 

Es ist nicht so dass ich noch litte
Und nicht dass ich von Kassel träume
Doch nicht einmal auf Reinhards Bitte
führe ich hin und schaute Bäume


möbel*in korrekt gegendert

Zum Fläzen Liegen Pennen

lädt dieses Möbel ein

doch ALFRED es zu nennen

fiel mir im Traum nicht ein

Und hieße es REBECCA

nach einer schönen Frau

zu groß wär das Gemecker

das weiß ich ganz genau

 

Gepolstert in altrosa

Von sächlichem Geschlecht

nenn ich das Möbel SOFA

so ist es allen recht


stichtag - eine hochsommergeschichte in reimen

 ein buffet mit
leckren happen
befriedigt die
begier der gäste

 

saufen fressen
nichts berappen
wespen balgen
sich um reste

 

panisch fuchteln
nun die leute
wiegeln auf
die wespenmeute

 

selbst die störe 
sonst nicht böse  
bissen störer
hört ich heute

 

wespen stechen 
instinktiv 
so bestimmt  
es die natur  

 

wespenjäger  
jagen stur  
weil zu denken  
ihnen stinkt