Über den Krieg gegen Putin
Während der Corona-Pandemie machte ich eine seltsame Erfahrung. Freunde und Bekannte verlangten, ich solle einfach mal der Regierung vertrauen. Die Verantwortlichen gäben ihr Bestes. Viele bekannten, froh zu sein, in dieser komplexen Lage keine Verantwortung zu tragen. Die das sagten, waren ausnahmslos Menschen, die ich wegen ihrer politischen Erfahrung schätzte.
In der Demokratie ist es normal, der Regierung zu misstrauen. Jederzeit schlägt die Stunde Opposition – in Krisen mehr denn je.Außerdem: Eine Regierung, die Schulden Sondervermögen nennt, verdient kein Vertrauen.
Die Bundesrepublik sei nur um den Preis ihrer Vernichtung zu verteidigen, erklärten mir Offiziere der Bundeswehr, als sich noch der Todesstreifen durch Deutschland zog. Die Soldaten hatten so viel Angst, es könne wahr werden, was sie in Manövern übten, dass sie noch nicht einmal benannten, was sie tun mussten, wenn es ihnen befohlen würde. Nirgendwo wurde damals weniger über das Töten gesprochen als in Kasernen der Bundeswehr.
Wenn jetzt so getan wird, als habe die Abschreckungspolitik 70 Jahre Frieden gesichert, stelle ich fest: es herrschte allenfalls ein Waffenstillstand in Europa. Die Dritte Welt musste für die Ruhe in Europa bluten.
Wissen deine Eltern, dass du hier bist? möchte ich die junge Frau, die in Dortmund auf den ICE wartet, am liebsten fragen. Mit ihrem puppenhaften Gesicht und den grell geschminkten Lippen wirkt sie wie 16. Aber sie muss älter sein, denn sie trägt Uniform. Sie sei 19, erklärt sie und habe vor, langfristig bei der Bundeswehr zu bleiben: Einer muss es ja machen.
Was weiß diese junge Frau über den Krieg und das Handwerk des Tötens? Was wissen diejenigen, die Pazifismus für naiv halten, über die Konflikte, die sie dieser Frau zumuten? Was wird aus ihr, die gedrillt wird, still zu stehen, die Augen gerade aus, im Gleichschritt zu marschieren, sich ein- und unterzuordnen? Die sich abmüht, einen Parcours zu überwinden, auf Silhouetten menschlicher Leiber zu schießen und zu lernen, wie man Menschen, die andere Uniformen tragen, mit dem Bajonett kalt macht.
In Kriegen stehen sich Nationalstaaten gegenüber. Wir sind Staatsbürger. Als solche kann uns unsere Regierung zum Kämpfen zwingen. Mich erstaunt, wie leichtfertig die Bereitschaft, für das Vaterland zu sterben, erklärt wird. Auf einem Kriegerdenkmal in der Hamburger Innenstadt ist zu lesen: Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen. Nationalsozialisten errichteten es. Vor 40 Jahren forderten viele den Abriss. Jetzt ist die Losung wieder aktuell. Wieder herrscht die Logik des Bienenstocks. Der Einzelne hat nur Wert als Teil des Ganzen. Das Individuum muss bereit sein, sich zu opfern, für etwas, das größer ist als er, schwelgen die Kolumnisten.
Wer mitmacht, dem gewähren die Behörden für die Zeit des Krieges Straffreiheit für Taten, die ihn sonst lebenslang ins Gefängnis brächten. Noch vor 36 Jahren hätten wir Deutsche, die Bürger der DDR waren, erschossen, weil sie unsere Feinde waren. Jetzt kämpfen wir Seit´ an Seit´ gegen Russland. Um Krieg zu führen, muss man sich dumm stellen, muss seinen Lebenswillen vergessen, seine Empathie auf die beschränken, die denselben Pass haben. Krieg verwüstet Landschaften und Städte, Körper und Seelen. Er hinterlässt verkrüppelte Männer, vergewaltigte Frauen und geschändete Kinder.
Wir lassen zu, dass mit unseren Steuergeldern Waffen gekauft und Soldaten ausgebildet werden. Und weil es alle machen, wird es Krieg geben. Wir werden ihn nicht verhindern, weil die große Mehrheit unserer Politiker und ihrer Wähler Krieg für alternativlos halten. Die Aufrüstung läuft wie geschmiert, auch weil Politiker davon ausgehen, vermutlich aus Gewohnheit, dass sie auch in diesem Fall von den Folgen ihrer Beschlüsse nicht betroffen sein werden.
Kriege begannen fast immer so, wie die vorherigen Kriege endeten. Auch in der Ukraine graben sich Soldaten an der Front ein und beschießen einander. Schon jetzt lässt sich absehen, dass es nicht dabei bleiben wird. Drohnen und taktische Atomwaffen, biologische und chemische Waffen, Cyber-War-Methoden stehen zur Verfügung. Nur eines ist sicher: die Zivilbevölkerung wird das Leid tragen.
Ist der dritte Weltkrieg nicht längst im Gange, und wir mittendrin? Während die Lobbyisten den Politikern milliardenschwere Rüstungsprojekte schmackhaft machen, motiviert durch deren erklärte Bereitschaft, hunderte von Milliarden auszugeben, ohne noch zu wissen, wofür, töten die ukrainischen Avantgardisten mittels billigrt Drohnen Zivilisten in Zügen. Die Front löst sich auf, sie verläuft überall und nirgends. Es gibt kein ruhiges Hinterland. Viele Menschen glauben, der Westen kämpfe für Werte und Menschenrechte. Sie sehen sich als die Guten im Kampf gegen die Bösen. Ist es nicht so, dass Staaten Interessen verfolgen? Sind die herrschenden Interessen die Interessen der Herrschenden? Welches sind meine Interessen?
Die Ukraine hat das Glück oder das Pech, über Bodenschätze zu verfügen. Das macht sie für die EU interessant, die jetzt das Land für die Übernahme durch deutsche und westliche Konzerne vorbereitet. Bauern, die an der Front ihr Land verteidigen, werden womöglich feststellen, dass sie ihren Hof nicht mehr halten können, weil sich Agrarkonzerne die Äcker unter den Nagel gerissen haben.
Aber wir können doch Putin nicht nachgeben. Nein, das können wir nicht. Wir können hoffen, dass es keinem der mehr oder weniger Irren, die am Drücker sind, einfällt, den roten Knopf zu drücken. Seit es die Bombe gibt, sind wir von ihrem guten Willen abhängig. Unabhängig davon, ob wir 800 Milliarden Euro für Rüstung aufrufen oder keinen Cent.
In den 70er und 80er Jahren kritisierten wir die Aufrüstung der Polizei. Heute wirken Polizisten auf Demonstrationen wie Paramilitärs. Dagegen wären wir nicht angekommen, selbst wenn wir es gewollt hätten. Wir wussten damals schon: unsere Aktionen konnten nur erfolgreich sein, wenn sich Menschen in ihrem Lebens- und Arbeitsumfeld engagierten. Ziviler Ungehorsam, Streik, Nichtzusammenarbeit sollten soziale Macht entfalten. Der Weg – so beschrieb es Gandhi – war das Ziel. Mit diesem Nein müssten wir auch Putins Armee gegenüberstehen. Wir müssten ihm klarmachen, dass sich eine Besetzung nicht rechnet. Trauen wir uns das zu?
Fast alle Menschen fürchten Krieg, unterstützen aber seine Vorbereitung.
Krieg verwandelt Gesellschaften scheinbar in Volksgemeinschaften. Er hebt die Klassen aber nicht auf. Ein nationales Interesse ist eine Fiktion.
Ziviler Ungehorsam hat ein schlechtes Image. Er erfordert Mut und Opferbereitschaft. Krieg funktioniert auch mit feigen Mitläufern. Das spricht für ihn.
Ich fürchte, die Doktrin, die Bundesrepublik ließe sich nur um den Preis ihrer Vernichtung militärisch verteidigen, stimmt immer noch.
Ließe sich Deutschland sozial verteidigen? Was wäre die Alternative?
Der Grundsatz unserer Verfassung lautet: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Er gilt auch im Krieg.
Wir sollten uns nicht einbilden, es komme auf uns an. Die Entscheidung ist gefallen. Rüstungsfirmen boomen. Der Bundeskanzler liebkost eine Granate. Frau Strack Zimmermann inszeniert sich als Oma Courage. Sie spielen Krieg..
Als junger Mann verweigerte ich den Kriegsdienst, weil ich nicht auf Befehl töten wollte. Daran halte ich fest. Nein zu sagen, wenn alle ja sagen, zu desertieren, ist sicher nicht die Lösung. Was könnte die Lösung sein?
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