Über die Verteidigung der Freiheit
In ihrem Roman Wild nach einem wilden Traum beschreibt Julia Schoch den Verlust, den sie als DDR-Bürgerin durch das Aufgehen der DDR in der Bundesrepublik Deutschland erlitt. Die Sehnsucht nach einer Heimat, die ganz und gar verschwunden sei, sei schwer zu ertragen.
Ich vermute, die meisten Ostdeutschen kennen diese Trauer um das alltägliche Leben, das sie bis zum Fall der Berliner Mauer führten. Viele von ihnen teilen womöglich das Verlustgefühl, das Julia Schoch beschreibt.
Zugleich kenne ich das Unverständnis westdeutscher Bürger über diese Trauer. Nostalgie, die Verklärung dieses Alltags, stößt sie ab. Die DDR war nach allgemeinem Dafürhalten der meisten Bürger im Westen ein Unrechtsstaat, in dem kein glückliches Leben denkbar war.
Auch ich hätte nicht in der DDR leben wollen. Nicht nur, weil das Bier schlecht schmeckte, die Luft stank und Häuser verfielen. Ich konnte mir nicht vorstellen, in einer Diktatur zu funktionieren. Bei meinen Besuchen im Erzgebirge und in Dresden begegneten mir jedoch Menschen, die den Staat ablehnten und deshalb gezwungen waren, sich mit einem Leben am Rande der Gesellschaft zu begnügen. Selbst sie wollten bleiben.
Menschen finden sich ab, sie richten sich ein und passen sich an. Sie leben so gut sie können, nach ihren Vorstellungen. Das ist im Westen nicht viel anders als im Osten. Eine Nachbarschaft, eine Landschaft, ein Freundeskreis bedeuten Heimat. Das macht ein Staat so leicht nicht kaputt.
Nun verlangen Politiker und Politikerinnen, junge Menschen sollten bereit sein, ihr Leben oder wenigstens ihre Gesundheit dem Staat zur Verfügung zu stellen, damit die Generäle genug Soldaten gegen die Feinde der Freiheit ins Feld führen kann.
Freiheit ist eine schöne Sache. Ich wollte immer frei sein. Deshalb wurde ich kein Beamter und entschied mich, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Den unbewaffneten Kriegsdienst, der im Gesetz Ersatzdienst und in der Gesellschaft Zivildienst hieß, durfte man nicht verweigern. Freiheitsliebende junge Männer, die beide Dienste verweigerten, saßen dafür im Gefängnis. Dazu fehlte mir der Mut.
Ich hatte Glück, solange ich jung war, galt ein Krieg der NATO gegen den Warschauer Pakt als nicht führbar. Man hoffte auf das Gleichgewicht des Schreckens. Ich wurde nicht gebraucht.
Inzwischen halten Experten auch atomare Kriege für gewinnbar. Sie fordern die jungen Männer auf, patriotisch zu handeln und zum Kämpfen bereit zu sein: schließlich wolle niemand unter Putin in einem Reich des Bösen leben.
Ein Leben unter Putins Knute ist kein Zuckerschlecken. Ich möchte nicht mit den Menschen in Russland tauschen. Viele Russen leiden an den Folgen des Krieges, zu denen auch die Zensur gehört. Mit ihnen fühle ich mich solidarisch.
In Broschüren der Bundeswehr wird geschildert, wie umsichtig Krieg geplant wird, um die Zivilbevölkerung zu schonen. Man versuche, Kollateralschäden zu vermeiden. Krieg erscheint als eine vernünftige Form der Konfliktregelung. Doch seit dem zweiten Weltkrieg starben in Kriegen vor allem Zivilisten. Die Menschen, deren Freiheit angeblich verteidigt wird, fallen dem Krieg bevorzugt zum Opfer. Sie sterben massenhaft. Ihre Häuser, ihre Werkstätten und Felder werden verwüstet. Das Volksvermögen nehmen sich die Banken, die Kriegskredite gewährten.
Irgendetwas stimmt nicht mit der Forderung, wir müssten unsere Freiheit mit der Waffe in der Hand verteidigen. Wenn ich nur wüsste, was.
Eines weiß ich: Unsere Freiheit müssen wir Freiheitsliebenden schon selbst verteidigen. Gegen die Kriegsmaschinerie in Ost und West. Vielleicht retten wir nur unser kleines Glück. Das wäre enttäuschend. Aber was wollen wir mehr?
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Inge Averdunk (Freitag, 21 März 2025 11:56)
Genau! Irgendetwas stimmt nicht. Ich weiß auch nicht genau, was. Vielleicht ist es der Zusammenhang von Freiheit und Verteidigung. Oder : Es gibt ja auch die Möglichkeit, dass man sich in einem unfreien Staat die innere Freiheit bewahren kann. Die Gedanken sind frei!