
Über ein Missverständnis
Die Deutschen scheinen ein gut gelauntes, glückliches Volk zu sein. Tatkräftig, „kein Problem“ und optimistisch: „alles gut“. Ich kann mich nicht erinnern, in meiner Jugend oder als Berufstätiger jemals dieses Bekenntnis gehört zu haben. Heutzutage gibt es kein Entrinnen. Rempele ich im Bus, den der schwarze Mann am Steuer mit hohem Risiko durch den Straßenverkehr lenkt, einen Fahrgast an, beschwichtigt der, noch bevor ich ein „Pardon“ herausbringe, es gebe kein Problem. Wenn ich beim Apfelhändler keine Papiertüte habe, in die er die Bio-Äpfel schütten kann, brauche ich mich nicht zu sorgen. Mein Rucksack tut es auch. „Alles gut“.
Meine Frau lag eine längere Zeit im Krankenhaus. Mir fiel auf, wie oft die Pflegenden behaupteten, es gebe kein Problem. Alles sei gut. Nichts davon stimmte. Die Station war hoffnungslos unterbesetzt, das Personal zum Teil schlecht ausgebildet. Als Patient hatte man in dieser Klinik nicht viel zu lachen. Als sich eine Pflegerin bei meiner Frau ausweinte und klagte, sie sei hoffnungslos überlastet, sie könne nicht mehr, empfahl ihr meine Frau: „Erzählen Sie das ihren Vorgesetzten“.
Als ich einen Pfleger bat, meiner Frau etwas zu trinken zu geben, reagierte der sofort: „kein Problem. Alles gut" rufend, verschwand er und meldete sich erst eine halbe Ewigkeit später zurück. Da wurde es mir zu viel: nichts sei gut, die Probleme nähmen überhand: „hören Sie auf, so daher zu reden“. Der Pfleger guckte verdutzt und vergaß zum ersten Mal die unerträgliche Formel.
Am letzten Wochenende hatte ich in Vorpommern zu tun. Mir fiel die Menschenleere auf. Wer nicht wegzieht, bleibt wohl zu Hause, versuchte ich mir die Stille zu erklären. Die AfD erhält hier fast die Hälfte der Stimmen. Die Frau, die mich vom Bahnhof abholte, quittierte mein „Danke schön“ wie aus der Pistole geschossen: „Kein Problem. Alles gut.“ Auf die Leere angesprochen beschwerte sie sich, alles sei plattgemacht worden, auch die NVA-Kasernen, von denen viele Menschen gelebt hätten. Scherzhaft warf ich ein, Plattmachen sei doch das Beste, was man mit einer Armee tun könne. Meine Fahrerin hielt verärgert dagegen: Eine gute Verteidigung sei das A und O. Nach wenigen wortlosen Minuten stieg ich aus. Zum Abschied gab sie mir auf den Weg – Sie wissen schon.
Zum ersten Mal begriff ich, wieviel erlebte Ohnmacht, gekränkter Stolz, unterdrückte Wut und verdrängte Angst in der Versicherung liegen, alles sei gut so, wie es ist.
Kommentar schreiben