Verhältnismäßig große Angst

 

Geschrieben während der Corona-Pandemie 

 

 

Überhaupt hat der Tod mit Gesundheit und Krankheit
nichts zu tun. Er bedient sich ihrer zu seinem Zwecke.
Gottfried Benn

 

 

Auf dem Bahnsteig in Stralsund halten sich nur wenige Wartende auf. Eine Durchsage durchbricht die Stille. „Achten Sie auf Ihr Gepäck.“ Schon sehe ich die Reisenden um mich herum mit anderen Augen. So funktioniert es. Wir leben in finsteren Zeiten. Der Arglose hat die furchtbare Nachricht nur noch nicht empfangen. Wo liegt die Grenze zwischen vernünftiger Vorsicht und krankhaftem Misstrauen? Wie vertragen Menschen den Daueralarm auf allen Kanälen? Leben wir bereits in einer Kultur des Verdachts?

 

Das Virus ist real. Zugleich ist es Teil einer Inszenierung. Die Pandemie-Politik verändert nicht nur das Miteinander, sondern auch das Verhältnis der Individuen zu ihrem Körper. Es gibt keine gesunden Menschen mehr. Jetzt ist jeder Nicht-Getestete eine verkappte Virenschleuder. Der Mitreisende, der sich zu mir ins Abteil setzten will, suchte das Weite, nachdem ich ihm beschieden hatte, gesund und getestet zu sein.

 

Nach achtjähriger Abstinenz sehe ich wieder fern. Jeden Tag könnte ich mehrere Krimis sehen. Jede touristische Destination hat ihre SOKO. Die an den Kopf des zitternden Opfers gehaltene Wumme gehört inzwischen ebenso zum Repertoire wie die immer gleichen Verhöre in halbdunklen Räumen. Ab und zu gehen Vernehmer dem vermeintlichen Täter an die Wäsche. Früher wurde der Ausraster entschuldigt, jetzt ist er kein Thema mehr. Die Beliebtheit von Krimis sei kein Zufall, las ich neulich. In einer verunsichernden Welt lieferten Krimis Eindeutigkeit. Die Stories transportieren außerdem penetrant die Botschaft: wer auf sein Recht besteht, macht sich verdächtig.  

 

Seit einiger Zeit heißt es, Journalisten sollten Haltung zeigen. Mir reichte es, wenn sie ihr Handwerk verstünden.  „Wer schon mal in der tendenziell unterbezahlten deutschen Gastronomie gearbeitet hat, weiß, dass man dafür ein Gesundheitszeugnis braucht, was viele Jahre eine unschöne Prozedur zur Folge hatte. Man musste da ein Stückchen Kot in ein Röhrchen stecken. Seltsamerweise hat dieser Eingriff in die private Freiheit nicht zur Entstehung von irgendwelchen Querdenker-Bewegungen geführt.“ Ein kleines Stück Scheiße, herausgefischt aus dem Leitartikel der Süddeutschen Zeitung vom 29. November 2021. Bernd Dörries ist der Autor. Auf diesem Niveau agiert „Qualitätsjournalismus“ gegen Menschen, die ihre körperliche Unversehrtheit verteidigen.

 

In Hamburg ereilte der Tod seit März vorigen Jahres fast 2.000 Corona-Erkrankte. Im selben Zeitraum forderte er in der Hansestadt insgesamt ungefähr 40.000 Menschenleben. Diese Zahlen werden zurzeit nicht ins Verhältnis gesetzt. Das muss geschehen, damit verhältnismäßige Maßnahmen gegen die Pandemie ergriffen werden können. Unsere Ahnen waren klüger als wir ahnen: „Mensch gedenke, dass du sterben musst, auf dass du klug wirst“ (Buch der Psalmen).

 

„Dieses Virus wird endemisch werden. Wir können es auf keinen Fall wegimpfen, weil wir nicht die ganze Weltbevölkerung impfen können. Und bald kommen auch Immun-Escape-Varianten, gegen die die Impfung nicht mehr wirkt. Darum müssen wir bewusst in die endemische Phase eintreten.“ Das sagte kein geringerer als der Virologe Christian Drosten (Die Zeit 46/2021, Seite 6).

 

Die neue Bundesregierung („Mehr Fortschritt wagen“), macht in ihrem Koalitionsvertrag keine Anstalten, Fortschritt zu gestalten. Sie hält an dem Ziel fest, das Virus zu besiegen. Diese Strategie fordert weit mehr Opfer als die Pandemie. Nicht zuletzt zerstört sie die Zivilgesellschaft. Das erleben wir gerade.

 

2. Dezember 2021

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