Die Macht der leisen Töne

 

Die St. Pauli-Gemeinde feiert


Mitten in der früher verbindlichen Mittagsruhe reißt mich Musik aus dem Schlaf. Schon wieder. Meine Frau warnt mich: mach dich nicht unbeliebt. Die Kirche! Und tatsächlich werde ich ermahnt, mal fünf gerade sein zu lassen. Der kräftige DJ fühlt sich bedroht, weil ich ihn verständnisheischend am Arm berühre. Natürlich brülle ich: Es ist unerträglich laut.


Damit das klar ist: Als ich vor 26 Jahren in die Antonistraße am Hafenrand zog, war dieser Teil von St. Pauli noch ein ruhiges Wohngebiet. Nicht ich bin ins Vergnügungsviertel gezogen, es schlich sich hinter meinem Rücken ein. Irgendwann verlegte die Stadtverwaltung den sonntäglichen Fischmarkt in unsere Richtung. So wurde es an Wochenenden lauter. Dann erkämpften Anwohner die freie Sicht auf die Elbe. Seitdem ist der Platz vor meiner Mietwohnung ein Eldorado für Krachmacher aller Art.


Die Pastorin weiß ebenso wie der Pastor, wie sehr die direkten Anwohnerinnen unter dem Lärm leiden. Pastor Wilm ist sogar aktiv gegen die Belästigung. Jetzt erklärt er mir, man müsse doch mal laut sein dürfen: 10 Jahre Lampedusa sei doch Grund genug.


Vor einer Woche erklärte mir ein gewerkschaftlicher Lärm-Fan dasselbe: Sei doch einmal tolerant. Nächsten Sonnabend wird es jemand anders vorbringen: Bitte stell dich dieses eine Mal nicht so an. Sie haben das Recht auf ihrer Seite. Die Bezirksverwaltung erlaubt die Belästigung der Anwohner.   


Der DJ beschimpfte mich als Spaßbremse: 300 Menschen sollten sich zum Tanzen einfinden. Da müsse es ordentlich laut sein. In meinem Wohnzimmer hätte ich nach Lärmschutzverordnung einen Gehörschutz tragen müssen. Vielleicht waren sich die Feiernden der Gefahr bewusst. Niemand tanzte.


Das ist das Trübsinnige. Diese Feste gleichen sich. Die Musik macht das miteinander Sprechen unmöglich. Diesmal versammelten sich die wenigen Gäste hinter der Kirche. Da war es leiser.


Ich erinnere mich gern an die Lampedusa-Flüchtlinge, die vor zehn Jahren hier lebten. Jeden Tag fegten sie den Platz vor der Kirche in einer beeindruckenden Ruhe und Gelassenheit. Sie strahlten Stärke aus. Sie wussten: sie würden einen langen Atem brauchen. Sie waren laut, wenn es drauf ankam, aber sie kannten die Macht der leisen Töne.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0