Impf-Skeptiker rehabilitiert?

Über Schamgefühle

 

Nur durch Zufall stieß ich auf eine Bemerkung, die mich nicht loslässt. Sie stand in einem Artikel, den ich nur wahrnahm, weil der mir unbekannte Schriftsteller, um den es ging, aus Graz stammt, und ich gerade dorthin unterwegs war. Versteckt auf Seite 53 in der ZEIT vom 2. März las ich:

 

Während noch vor Kurzem kritischen Nachfragen zu Impfungen, Maskenpflicht und Lockdowns ein verschwörungstheoretischer Modergeruch anhaftete, gelten sie mittlerweile als Ausweis wissenschaftlicher Integrität. Dieser jähe Umschwung widerlegt keineswegs die Tatsache, dass es aufseiten der Querdenker rechte Agitatoren, aufseiten der Maßnahmenbefürworter gemäßigte Skeptiker gab. Dennoch nestelt ein Schamgefühl am kollektiven Bewusstsein, andersdenkende Kritiker pauschalierend diffamiert zu haben, bloß weil sie eben das waren: Andersdenkende.

 

Seit ich Parkinson habe, funktioniert mein Geruchssinn nicht mehr. Einen Modergeruch, noch dazu einen verschwörungstheoretischen, nahm ich deshalb nicht wahr. Doch ich bemerkte andere Anzeichen, die mir sagten, es sei etwas faul im Staate. 

 

Der jähe Umschwung zur Vernunft, den Florian Eichel beschreibt, blieb mir verborgen, was an meiner Medienenthaltsamkeit liegen könnte. In meiner Umgebung ist er nicht angekommen. Zum Glück hat nur eine Minderheit meiner Bekannten zuvor die Abkehr von der Vernunft offen vollzogen. Allerdings wird auch in meinem Umfeld vor allem geschwiegen. Die pauschale Diffamierung erkannte ich womöglich gar nicht, weil kaum jemand das Thema Impfung thematisierte.

 

Auch in diesem Fall entscheidet die Mehrheit, wer sich wofür schämen muss. So wünschenswert der Umschwung wäre, so unwahrscheinlich ist er. Er setzt ein Maß an Vernunft und eine Fähigkeit zur Selbstkritik voraus, die ich nicht vielen zutraue.

 

Bisher geht die Ausgrenzung einer bedeutenden Minderheit völlig reibungslos vor sich. Die meisten werden sie gar nicht als Problem sehen. Für sie kann nur eine Minderheit uneinsichtig sein: die Mehrheit – davon ist sie selbst nach wie vor überzeugt – hat immer recht.

 

Die Ausgrenzung geschieht stillschweigend. Sie beruht auf keinem Beschluss. Sie wurde nirgends angewiesen. Sie setzte sich durch, als eine wissenschaftlich und politisch begründbare Entscheidung moralisiert wurde. Es ging nie um die Alternative Lockdown oder Laissez-faire, wie manche unterstellten. Mir und anderen geht es um die Verhältnismäßigkeit von Not und Gebot.  

 

Für mich sieht es so aus, als würde die Bereitschaft zum Verzicht auf das Recht der körperlichen Unversehrtheit zur Gehorsamsübung. Der kleine Piks bekam eine übergroße Bedeutung. Die Mehrheit in diesem Land findet nach wie vor nichts dabei, das Bekenntnis zur Impfung zur Aufnahmeprüfung in den Kreis der Vollbürger zu machen.

 

Verwundert nahm ich wahr, wie sich die meisten Linken gegen Meinesgleichen wendeten. Einige drehten völlig ab. Georg Seeßlen konnte ich oft nicht folgen. Bisher schloss ich auf meine fehlende Intelligenz. Inzwischen versinnbildlichen seine Texte in der taz das, was gemeinhin Geschwurbel genannt wird. Ich kann ihm nach wie vor nicht folgen. Allerdings sehe darin jetzt einen Beweis, nicht völlig dumm zu sein. Ich frage mich, was die Macherinnen der taz bewegt, Seeßlens Theorien abzudrucken.

 

Was Thomas Ebermann bewegt, verstehe ich ebenso wenig. Nicht, dass ich bisher keine Kritik an seinen Positionen gehabt hätte. Linkssein, schreibt Ebermann, sei nur denkbar als Feindschaft gegenüber dem Tod. Reaktionär seien entsprechend jene, die sagen, man müsse lernen, mit dem Virus zu leben.  Ihnen unterstellt er, zu akzeptieren, dass vor allem Alte, nicht mehr Nützliche, sterben. Das ist infam.

 

Der Mann gefällt sich darin, seine Hilflosigkeit öffentlich auszustellen. Seine grundfalsche Verteufelung von Heimatgefühlen konnte ich nicht mehr nachvollziehen. Seine Heimat sei der Schmollwinkel, schrieb ich dazu. Ebermann steht beispielhaft für eine Linke, die ihre gedankliche und moralische Leere hinter ausufernden Theoriefassaden versteckt.

 

In Afrika, Indien und anderswo kämpfen Menschen um den Erhalt ihrer Heimat. Sie wehren sich gegen westliche Konzerne, die ihr Land beanspruchen, um Bodenschätze zu rauben. Diese Menschen haben von Linken nicht mehr zu erwarten, als die Aufforderung, sich zu uns auf den Weg zu machen. Als hätte unsere Gesellschaft diesen Menschen irgendetwas zu bieten, das ihnen den Verlust ihrer Heimat ersetzen könnte.

 

Jeder Corona-Tote ist einer zu viel. So lautete das Credo der Gesundheitsökonomen und ihrer Profiteure. Sie taten so, als ließe sich das Virus ausrotten. Wer das bezweifelte, wurde als jemand hingestellt, dem die Opfer gleichgültig wären. Die Moralisierung von Sachfragen ist die neoliberale Form der Dikursverweigerung.

 

Die Verantwortlichen sagten bewusst nicht: wir tun alles in unserer Macht Stehende, um Opfer zu verhindern. Das hätte Geld gekostet, das sie nicht ausgeben wollten.

 

Die Lage der pflegebedürftigen Menschen ist nach wie vor katastrophal. Es fehlt an Klinikpersonal. Long Covid-Patienten werden nicht ausreichend versorgt. Etc. pp. Es ist nicht leicht, angesichts der eigenen Sterblichkeit einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber es ist das Mindeste.

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