Der Weg ist das Ziel

 

Aus meinem Buch So tun als ob, das demnächst erscheint.

 

Seit einem Jahr wird in der Ukraine gekämpft. Meine Frau erzählt, dass wir an der Demonstration in Berlin teilnehmen wollen. Da seien doch Rechte dabei, warnen einige. Immerhin rechnen sie uns nicht dazu. Ich werde nicht mit Rechten zusammen demonstrieren. Das ist eine Frage der Haltung. Soll ich mir von Populisten und Reichsbürgern vorschreiben lassen, ob ich auf die Straße gehe oder nicht?

 

Steckt hinter der Ablehnung des Krieges nur die Furcht, nicht mehr weiterleben zu können wie bisher? Wollen wir nur unsere Ruhe haben? Oder sind wir bereit, uns einzusetzen: für ein Europa ohne Atomwaffen und Oligarchen. Leitet uns das Streben nach Glückseligkeit (Pursuit of Happyness), das die amerikanische Verfassung ihren Bürgern zusichert?

 

Dürfen wir die Rettung des Planeten den Aktivisten der Letzten Generation überlassen? Wie sollen junge Leute eine Aufgabe stemmen, vor der Erwachsene in die Knie gehen? Noch dazu müsste schnell gehandelt werden. Auf allen Ebenen.

 

Wie oft saß ich in Wohnküchen oder in angenehm ungepflegten Gärten und hörte Reiseberichten zu. Mit dem Postschiff durch norwegische Fjorde mit Halt an Lachsfarmen und Vorträgen über die Gefährdung der Gewässer. Per Rad um den Aralsee mit Besichtigung heruntergekommener Industrieanlagen.

 

Ich benutze kein konventionelles Spülmittel mehr, erzählt eine 70-Jährige, als hätte sie auf einer dieser Reisen den Stein der Weisen entdeckt. Wo war sie in den 80er Jahren? Wo verschlief sie die Jahre danach?

 

Appelle, das Klima zu schonen, sind das tägliche Brot der Nachrichtenredaktionen. Alle wissen Bescheid. Trotzdem öffnet sich die Schere zwischen dem, was zu tun bleibt und dem, was getan wird, immer weiter.

 

Was kann der Einzelne tun? Reicht das, was getan wird? Darauf haben wir keine befriedigende Antwort. Was bewegt in dieser Situation Leute, die ein hohes Problembewusstsein haben, in die Karibik oder nach Neuseeland zu jetten? Ist das Trotz? Ist das Verzweiflung? Nach mir die Sintflut?

 

Als Zyniker fühle ich mich bestätigt, wenn ich sehe, wie Schüler von ihren Muttis im SUV zur Schule kutschiert werden und freitags, statt zu lernen, für die Zukunft demonstrieren. Aber ich bin nicht nur Zyniker.

 

Mahatma Gandhi hob am Strand des Indischen Ozeans ein paar Salzkörner auf. Das war mehr als eine Demonstration. Er brach symbolisch ein Gesetz, das Indern die Salzgewinnung verbot. Seine Anhänger folgten seinem Vorbild und machten einen Schritt in Richtung der indischen Unabhängigkeit.

 

Die Erfahrungen der gewaltfreien Bewegungen im 20. Jahrhunderts scheinen vergessen zu sein. Dieses Versäumnis muss sich meine Generation ankreiden. Die gewaltlosen Aktivisten in Gorleben in den 70er und 80er Jahren (um ein Beispiel zu nennen), wussten: Es kommt nicht darauf an, irgendetwas zu tun. Protest, bürgerlicher Ungehorsam, Widerstandsaktionen müssen radikal sein in dem Sinne, dass sie an die Wurzel des Übels gehen. Der Weg ist das Ziel.

 

Auf diesem Weg käme es darauf an, Aktionen zu finden, die Macht entfalten. Aktionen, deren Symbolik auf das Ziel verweist. Aktionen, die wenigstens für einen Moment die Katastrophe außer Kraft setzen.

 

Statt darüber nachzudenken, machen sich  Anführer der Aktivisten in Davos wichtig. Wozu? Der Kongress der Globalisierungsgewinner ist weder transparent noch barrierefrei und schon gar nicht inklusiv.* Das scheint dem Ansehen der Veranstaltung nicht zu schaden.

 

Ausgerechnet die Chinesen machten uns vor, was friedliche Aktionen erreichen können. Sie haben es mit einer Diktatur zu tun. Sie nahmen Repressionen eines Polizeistaates in Kauf und behaupteten sich. Sie wehrten sich gegen die Einschränkung ihrer Freiheit, die bei uns die meisten Bürger fordern und viele sich selbst auferlegen. So verrückt ist die Welt.

 

Was die Kundgebung in Berlin betrifft: sind wir nicht in der Lage, eine Berliner Mauer zu bauen, um uns von populistischen Spinnern abzugrenzen? Phantasie an die Macht!

 

*Demokratisch, egalitär und emanzipatorisch ist die Diskussionsrunde schon gar nicht. Das verlangt auch niemand. Schade eigentlich.

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