Respektloses

 

Über offene Wunden

 

Es ist schon viel gewonnen, wenn es uns gelingt, die Haltung des anderen jeweils zu respektieren, schrieb mir während der Pandemie eine Freundin. Sie hatte uns zu einer Geburtstagsfeier eingeladen, um uns postwendend auszuladen, als sie erfuhr, wir seien nicht geimpft.

 

Mit Andersdenkenden zu sprechen, scheint aus der Mode zu kommen. Man fordert Respekt und meint nichts weiter als: Nimm mich so, wie ich bin – und lass mich in Ruhe.

 

Wer normal, ohne Auflagen leben will, muss sich als Versuchsperson für einen neuartigen Impfstoff zur Verfügung stellen. Nur, wer sich diesem Diktat unterwirft, erhält Zugang zum gesellschaftlichen Leben. Die hohe Impfquote ist ein Ergebnis von sozialem Druck. Der Staat nötigt seine Bürger.

 

Ungeimpfte Menschen werden nicht wie Gesunde behandelt, sondern wie potentielle Gefahrenquellen. Noch vor kurzem wäre das als Verletzung ihrer Würde geahndet worden. Heute gilt die Ächtung gesunder Menschen als vernünftige, gerechtfertigte Maßnahme. Sie dürfen selbstverständlich zu ihrem Glück genötigt werden.

 

Selbstverständlich findet sich für Ungeimpfte keine demokratische Vertretung, die ihre Anliegen im Bundestag vertritt. In einer Demokratie sollte das ein Alarmsignal sein.

 

Wer so auf Respekt besteht, verleugnet Gefühle und handelt gefühllos. Daran zerbrechen Freundschaften und Familien.

 

Ich schrieb der Freundin: Du wirst verstehen, warum uns die Ausladung kränkt und das Verlangen nach Respekt uns traurig macht. Wir wären aus Rücksicht auf die Geimpften, die der Impfung nicht vertrauen, bereit gewesen, uns testen zu lassen. 

 

Wer immer den worst case beschwört, findet nicht zurück in eine Normalität, zu der das Risiko gehört, das Unwahrscheinliche könne wahr werden. Menschen werden zu Monaden. Das wäre der worst case für die Gesellschaft.

 

Sind Online-Geburtstagsfeiern zynische Vorstellung oder womöglich schon Realität? So oder so: In der Pandemie ist sich jeder selbst der Nächste. Egoistisch ist das neue solidarisch.

 

Wir leben in einer absurden Situation. Die Impfung hält nicht, was versprochen wurde: sie immunisiert nicht. Geimpfte bleiben potentiell ansteckend.  Die Pandemie-Politiker moralisieren dieses Problem und schieben die Schuld den Nichtgeimpften zu. Die Auseinandersetzung nimmt religiöse Züge an. Zweifel sind nicht erlaubt. Bekenntnis ersetzt Erkenntnis.

 

Wohl denen, die mutige Freunde haben, die ihre Tür nicht verschließen. Freundinnen, die der Angstmache widerstehen. Diese Menschen verdienen unsere Hochachtung – unseren Respekt.

 

Lesen Sie Heribert Prantl, Not und Gebot. Mehr braucht ein demokratisch gesinnter Mensch nicht, um zu verstehen, was um uns herum geschieht. Auf der Höhe der Zeit, politisch und moralisch angemessen, zu handeln, kann uns niemand abnehmen.

 

Dies schrieb ich am 30. Oktober 2021.

 

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