Krieg ist etwas für einfache Gemüter

 

Über lohnende Kriegsziele

 

Mich erschreckt, wie schnell sich eine kriegerische Rhetorik breitmacht. Wie Kritiker verstummen oder mundtot gemacht werden. Ging es anfangs um die Verteidigung der Ukraine, heißt es jetzt, Russland müsse endgültig besiegt werden. Wie das gehen soll – immerhin drohen die Russen mit einem gewaltigen Arsenal von Atomwaffen – ist nicht Gegenstand der Debatte.

 

Wer wagt noch den Gedanken auszusprechen, dass irgendwann verhandelt werden muss? Ein „guter Krieg“, der es wert sein könnte, gekämpft und gewonnen zu werden, sei für viele Deutsche nicht denkbar, kritisiert Sonja Zekri[1]. Die Ukrainer kämpften um ihre „kulturelle Identität“. „Alles ist besser als Krieg? Bestimmt nicht. (...) Der Krieg als nationaler Opfergang, aus dessen Trümmern eine demokratische, europäische Nation entstehen wird – das ist die große Erzählung der Ukraine.“

 

Abgesehen davon, dass dieser Krieg ein internationaler „Opfergang“ werden kann. Wie kommt Frau Zekri auf die Idee, die Demokratie werde siegen?

 

Die Deutschen seien empfänglich für die „oft frappierend kenntnisfreien Rufe nach Verhandlungen“. Das ist so locker hingeschrieben. Was bedeutet „frappierend kenntnisfrei“? Sebastian Haffner[2], kein Pazifist, schreibt: „In der Staatenwelt werden Kriege immer für einen Frieden geführt.“ Auf was soll der Krieg in der Ukraine hinauslaufen, wenn nicht auf Verhandlungen?

 

Erich Vad[3], ehemaliger Brigade-General der Bundeswehr, hat die Innere Führung verinnerlicht. Ein denkender Militär: „Wir begeben uns auf eine Rutschbahn. Das könnte eine Eigendynamik entwickeln, die wir nicht mehr steuern können. Natürlich war und ist es richtig, die Ukraine zu unterstützen und natürlich ist Putins Überfall nicht völkerrechtskonform - aber nun müssen doch endlich die Folgen bedacht werden! (...) Es gibt keine realistische End-State-Definition. Und ohne ein politisch strategisches Gesamtkonzept sind Waffenlieferungen Militarismus pur.“

 

Wie eine wenig besser als Russland beleumundete Oligarchie durch einen Krieg eine Vorzeigedemokratie werden soll, lässt Frau Zekri offen. Krieg ist etwas für einfache Gemüter. Es ist kein Wunder: Krieger befinden sich immer auf der Seite des Guten oder sie sind die Guten. Die Feinde sind die Bösen.

 

Im richtigen Leben ist es meist komplizierter. Deshalb gibt es Diplomatie. Deshalb wird Politik gemacht. Krieg löst keine Konflikte. Krieg baut nichts auf. Und das Kriegsziel einer ethnisch gesäuberten Kulturnation: würde sie sich trauen, es den Hinterbliebenen der zum Kampf Gezwungenen zu präsentieren? Dafür die Zerstörung, die Toten, die Versehrten? Dafür Europa in einen (Atom)Krieg verwickeln?

 

 

Karl-Markus Gauß[4] erweist sich einmal mehr als feiner Beoachter, indem er darauf hinweist, hinter Feindbildern steckten Feinde:Wie kann man aus verständlicher Sehnsucht nach Frieden von beiden Kriegsparteien dasselbe verlangen, nämlich gefälligst ein bisschen nachzugeben, damit man sich in der Mitte treffe?" Das Ziel der Verhandlungen kann man auch anders definieren. Zur Not kann man Verhandlungen abbrechen. Nur: Verhandeln muss man. Oder man führt einen Vernichtungskrieg. Und das hat der Westen hoffentlich nicht vor.

 



[1] Es geht um alles, Süddeutsche Zeitung, 20. 1. 2023, Seite 9

[2] Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler, Frankfurt 1981, Seite 103

[3]  https://www.emma.de/artikel/erich-vad-was-sind-die-kriegsziele-340045

(4) Feinddürstig, Süddeutsche Zeitung, 20. 1. 2023, Seite 5

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